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Gemeinde im Konflikt


Ein Praxisbericht (Teil 1) von Oliver Schippers 

Alles begann mit einem Anruf und schien Routine zu sein: Ich wurde eingeladen, die Natürliche Gemeindeentwicklung zu einem Gemeindeabend vorzustellen. In der Gemeindeleitung hatte man überlegt, ein NGE-Gemeindeprofil zu erstellen und dann auf dieser Basis für die weitere Gemeindeentwicklung Prioritäten zu setzen.

Die Personen, die einen Fragebogen ausfüllen, sollten vorab wissen, warum sie dies tun und was konkret durch das NGE-Gemeindeprofil “gemessen” wird. Ich erlebte an dem Abend eine interessierte Gemeinde, die offen war, sich auf die Befragung einzulassen und spürte Energie, danach weiter über die Umsetzung nachdenken zu wollen.

Es lief zunächst ganz nach Plan. Die Fragebögen wurden verteilt, ausgefüllt und wieder eingesammelt. Ich fand es auch nicht überraschend, dass alle Fragebögen in Briefumschlägen einzeln verpackt bei mir angekommen sind und die Gemeinde Wert auf eine anonyme Behandlung der einzelnen Bögen legte.

Dann sah ich das Ergebnis. Die qualitative Bewertung der 8 Qualitätsmerkmale durch die Gemeindeglieder, die im Gemeindeprofil dargestellt werden, machte deutlich: Wir haben Konflikte! Unsere Beziehungen sind nicht liebevoll, sondern viele Gemeindeglieder ziehen sich bereits aus Verbitterung zurück. Wertschätzung wird in dieser Gemeinde nicht erfahren, Freude kaum erlebt. Über persönliche Probleme wird nicht gesprochen. Glaube erlebt man (noch) persönlich, dies spiegelt sich aber weder im Gottesdienst noch in den Kleingruppen wieder. Der Leitung bescheinigt man dann auch, dass sie nicht begabt ist, ihre Aufgabe nur noch aus Pflichtgefühl erledigt und Mitarbeitende keine Unterstützung erfahren.

Ich war überrascht; ein solches Ergebnis kommt nur alle 2-3 Jahre einmal vor. Und ich war froh, dass die Gemeinde die Befragung nicht selbst über die Website erstellte. So hatte ich eine Chance, zunächst mit dem Gemeindeleiter und dem Pastor zu telefonieren. 

Beide sagten mir am Telefon, dass sie von diesem Ergebnis nicht überrascht seien. Es würde widerspiegeln, wie sie die Gemeinde erleben; viele Konflikte, keine authentischen Beziehungen, keine gemeinsame Perspektive. Ich möge das Ergebnis an einem Gemeindeabend vorstellen und möglichst auch einen Weg aus der Krise aufzeigen.


Die Interpretation des NGE-Gemeindeprofils hilft herauszufinden, inwieweit Konflikte die Gemeindearbeit blockieren.  Die Zahlen und Fakten müssen aber ergänzt werden durch Gespräch mit Leitern und Gemeindegliedern, um sich ein Bild von der Situation zu bilden und der Gemeinde einen Weg aus der Negativspirale zu zeigen.

Je stärker z.B. bei Konflikten die Gemeindeleitung betroffen ist, umso mehr werden Kräfte gebunden und die Zukunftsfähigkeit der Gemeinde blockiert. Aber auch Konflikte zwischen Gemeindegliedern, Streit um oftmals ganz praktische Fragen, mangelnde Wertschätzung und Anerkennung von Engagement für die Gemeinde können emotional so belastend werden, dass sie einen konstruktiven Umgang miteinander verhindern und es nicht möglich ist,  gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.

In den Gesprächen bis zum Gemeindeabend wurde klar, dass es sich nicht um den einen klar abzugrenzenden Konflikt handelt. Vielmehr spielt die dörfliche Situation eine große Rolle: Man kennt sich seit Generationen, vieles ist in der Gemeinde verkrustet und die Leitung fühlt sich überfordert. Dass das NGE-Gemeindeprofil aufzeigt, dass die Beziehungen nicht besonders liebevoll, also nicht von Vertrauen und Wertschätzung geprägt sind, entspricht auch der Wahrnehmung der Verantwortlichen.

Am Gemeindeabend selbst stellte ich zunächst das Ergebnis der Umfrage vor. Dabei betonte ich, dass niedrige Werte nicht an sich schlecht sind, sondern oftmals auch eine hohe Energie der Befragten ausdrücken.
Dann gab es Zeit, über das Gehörte in kleinen Gruppen ins Gespräch zu kommen und erste Gedanken auszutauschen, aber auch Fragen zu sammeln.
Oftmals erlebe ich, dass einzelne Teilnehmer bei der Vorstellung der Ergebnisse mit Ablehnung reagieren, das statistische Verfahren in Frage stellen oder den Prozess als zu wenig “geistlich” erleben. An diesem Abend waren jedoch Betroffenheit und Fragen nach dem weiteren Weg im Vordergrund.


Mich hat dies ermutigt, der Gemeinde vorzuschlagen, zunächst nach vorn zu schauen und miteinander ins Gespräch zu kommen, wie man sich zukünftig die Gemeinde vorstellt, wofür man gemeinsam Glauben hat und welche Gemeinsamkeiten im Blick auf die Zukunft vorhanden sind.

Ich bin der Überzeugung, dass ein Beschäftigen mit den Ursachen und Hintergründen der vorhandenen Konflikte die Gemeinde weiter die Negativspirale, in der sich die Gemeinde befindet, verstärkt. Die Konflikte sind nicht abzugrenzen, um dann mit den Betroffenen an Lösungen zu arbeiten. Daher ist es sinnvoll, die Gemeindeglieder erleben zu lassen, dass sie miteinander reden, Spannungen aushalten und gemeinsam nach vorn schauen können.  Ich hoffe so ausreichend Motivation aufzubauen, um dann die Probleme anzugehen, die dem gemeinsamen inneren Bild von der Zukunft im Weg stehen.

Ganz konkret schlage ich der Gemeinde vor, ein Wochenende vorzubereiten, zu dem alle an der Gemeinde Interessierten eingeladen werden, um in kleinen Gruppen darüber zu sprechen, wie die Gemeinde derzeit erlebt wird, darzustellen, was in den einzelnen Gruppen und Kreisen gut und weniger gut läuft, miteinander zu beten und ein gemeinsames Bild von der Zukunft zu entwerfen. Dabei wird es an dem Wochenende darum gehen, dass jeder Verantwortung für sein Reden und Tun übernimmt und sieht, was der persönliche Beitrag zur weiteren Entwicklung der Gemeinde ist.

Schon das Aufzeigen dieses Weges setzte Hoffnung frei, als Gemeinde wieder zusammenzufinden und nicht mehr nur aus Treue und Tradition heraus dabeizubleiben.

Inzwischen hat sich die Gemeinde entschieden, ein Perspektivwochenende vorzubereiten und von mir moderieren zu lassen. In diesen Tagen werden die Einladungen verteilt, Anfang kommenden Jahres hoffen wir dann, dass wir miteinander ein Wochenende erleben, dass die Kultur der Gemeinde verändert, die Identität der Einzelnen mit ihrer Gemeinde stärkt und ein WIR entsteht, dass wieder Ausstrahlung auf den Ort bekommt.

Was das Wochenende gebracht hat und wie die Gemeinde hoffentlich wieder in ihrem Glauben gestärkt wird und eine gemeinsame Perspektive entwickelt können Sie in einer der nächsten Ausgaben unseres Newsletters lesen. Ich halte Sie auf dem Laufenden.


 


VERÄNDERUNG


QUALITÄT


VIELFALT


PROZESS


BALANCE


FOKUS



Herausgeber:
Verein für Natürliche Gemeindeentwicklung e.V. 

Geschäftsstelle:
Bärner  Str. 12, 35394 Gießen
E-Mail: buero@nge-verein.de

ViSdPR: Pfn. Birgit  Dierks (Vorstand)

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