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Das UND-Prinzip leben: UND befreit Menschen

Markus Weber im Interview mit Oliver Schippers


Unsere Charta „Das UND-Prinzip“ fordert heraus, Glaube mit Kopf, Herz und Hand auszudrücken, Unterschiede zu wertschätzen und Gegensätze zu lieben. In unserem Interview haben wir Markus Weber gefragt, wie ihm dies gelingt.
Markus Weber ist seit Februar dieses Jahres der zweite Vorsitzende unseres Vereins. Als Pastor der Evangelisch-Methodistischen Kirche ist er engagiert bei FreshX, startet kreative Projekte besonders für Familien in Siegen. Er ist verheiratet und hat drei Kinder zwischen 4 und 10 Jahren.


Du hast in dem Team mitgearbeitet, dass die Charta formulierte, das UND beschrieben hat. Spiegelt das Ergebnis wider, was Dir wichtig ist?
 
Wie jeder im Team habe ich ein paar Prozent beigetragen. Es ist nicht meine persönliche Charta. Aber in dem Sinn, wie wir das begonnen haben und was der Sinn der Sache ist, kann ich die Punkte unterschreiben. Aus meiner Sicht hätte das Ergebnis herausfordernder, so mancher Satz hätte steiler formuliert werden können.

Aber solche „Papiere“ beinhalten immer Kompromisse; aber dies ist kein schlechtes Kompromissdokument. – Kompromiss klingt ja häufig nicht positiv. Aber so meine ich es nicht. Aus meiner Sicht ist es ein ausgewogenes Dokument.
 

Was wäre so ein Punkt in unserer Charta, den Du Dir pointierter formuliert hättest?
 

Da fällt mir spontan der Punkt „Veränderung“ ein. Stillstand ist Rückschritt! Mir ist „Veränderung“ sehr wichtig, denn die Botschaft Jesu ist voll mit Herausforderungen zu persönlicher und gesellschaftlicher Veränderung. Umkehr bedeutet Veränderung!

Bei allen anderen Punkten ist es gut möglich, das Ausgleichende zu suchen. Persönlich versuche ich auch in Diskussionen, z.B. auf Facebook ausgleichend zu wirken. Aber beim Thema „Veränderung“ haben wir Christen nach 2000 Jahren ein großes Problem. Daher hätte ich mir hier eine herausforderndere Formulierung gewünscht.
 

In welche Richtung sollen sich die Christen, die Gemeinden stärker verändern. Würde nicht „Umkehr“ ein „Zurück“ bedeuten?
 
Nein, überhaupt nicht. Umkehr heißt gar nicht zurück! Vom griechischen Wort für Umkehr ausgehend bedeutet es „einen anderen Weg einschlagen. Es geht nicht zurück, sondern um eine Neuausrichtung, die Gott in den Blick nimmt. Also nicht zurückgehen an eine Weggabelung, sondern dort wo ich jetzt in meinem Leben stehe, mich verändern.

Eine pauschale Antwort, was dies für Gemeinden bedeutet, habe ich nicht. Aber es bedeutet immer wieder die Frage nach der Richtung zu stellen. Christen wollen immer „umkehren“. Aber Veränderung hat nichts mit Anpassung zu tun, sondern nach dem Weg Gottes fragen: Die Bibel von der Mitte, von der Person Jesu her verstehen, von seiner Liebe her.

Ich verstehe viele Kirchen, viele christliche Veranstaltungen nicht, die sich nur darum drehen, dass Menschen ihren Glauben festigen. Meiner Meinung müsste alles darum gehen, den Glauben und die Liebe Gottes auszubreiten. Jesus hat sich immer den Menschen zugewandt und sie zur Veränderung – etwas anderes zu tun – herausgefordert.
 

Du bist seit Februar der zweite Vorsitzende des NGE-Vereins, und schon einige Jahre beschäftigst Du Dich mit Natürlicher Gemeindeentwicklung als NGE-Berater. Wenn Du das eben Gesagte auf die Natürliche Gemeindeentwicklung beziehst, wo ist hier Veränderung nötig? Wie fordert uns das selbst heraus? Und wie hilft NGE, dass sinnvolle Veränderung geschieht?

Ich hatte in der Vergangenheit manchmal das Gefühl, dass man in eine eigene NGE-Welt eintaucht, in der viele Insider Bescheid wissen. NGE ist etwas Exklusives, ohne dass dies jemand wollte. In der Gemeinde braucht es eine starke Motivation sich mit NGE zu beschäftigen und sich daran auszurichten.

Ich würde mir wünschen, dass NGE stärkere Partnerschaften eingeht und sich in anderen Netzwerken integriert. Mit den guten Gedanken z.B. bei freshX aber auch anderen Netzwerken brauchen wir einen Schulterschluss. Das würde Gemeinden helfen über sich und Gemeindeentwicklung nachzudenken und dabei den „Blick über den Tellerrand“ zu wagen.

Wie wir es in unserer Charta ausdrücken sollten wir helfen, dass verschiedene Wege und Sichtweisen nebeneinanderstehen und Verknüpfungen sichtbar werden. Ich leide, wenn die Dinge nicht miteinander in Beziehung gebracht werden. Daher plädiere ich für das UND, ich möchte zusammenfügen und Integrieren.
 

Die Charta impliziert ja das Aufhören des Schwarz-Weiß-Denkens, das Zusammenführen von Unterschieden, kein entweder-oder, sondern sowohl-als-auch. Besteht dabei nicht die Gefahr, dass wichtige Grenzen verwischt werden, dass man Synkretismus fördert und unklar ist, was gilt. Rennen wir hier dem Zeitgeist hinterher?
 

Was mich an NGE fasziniert und warum ich mich auch im NGE-Verein engagiere ist der Gedanke der „Radikalen Balance“. Es sind nicht die einzelnen Themen: Gabenseminare gibt es wie Sand am Meer; auch nicht der trinitarische Kompass – da hatte ich in meiner theologischen Ausbildung gute Lehre … aber das Bild der drei Farben finde ich hilfreich. Es unterstützt eine ganzheitliche Betrachtung und dient, wesentliche Bereiche in Radikale Balance zu bringen. Dabei muss ich nicht jede Einteilung und Zuordnung zu den „Drei Farben“ teilen und nachvollziehen. Es verdeutlicht, es gibt es gibt Typen von Menschen, Gemeinden, Liebe und Führung. Keiner kann dann sagen, diese Gabe, dieser Stil oder Weg ist der einzig Richtige.

Gerade in dieser Gefahr stehen viele Gemeinden. Sie versuchen ihr Statement, ihr Profil zu formulieren, statt das „Profil Jesu“ in den Mittelpunkt zu stellen.

Die NGE beschreibt wesentliche Bereiche, die nebeneinander stehen und aufeinander bezogen werden müssen. Da hilft das „und“ [1].

Gemeinden haben Profil-Probleme: Weil sie befürchten, vom Glauben abzufallen, formulieren sie ihr Profil als Abgrenzung zu anderen und Rechtfertigung für ihre Existenz. Wenn sie das „und“ verstehen würden, würden sie jedem sein persönliches Profil zugestehen und dies fördern. Auch würden sie die Vielfalt und Andersartigkeit anderer Gemeinden als Bereicherung erleben.


In unserem ersten Interview zum UND sagte Pastor Thomas Dauwalter, dass Differenzierung, Vielfalt, das UND schnell zur Überforderung führen. Viele in der Gemeinde wünschen sich einen „einfachen Glauben“.
 
Richtig! Absolut Ja! Das ist der einfache Weg. Darum gehen ihn viele Gemeinden. Mach es easy und sag den Leuten was sie hören wollen. Bleib in ihrem Spektrum und fordere sie nicht allzu stark heraus. Lass uns ein wenig über Ethik nachdenken, statt das gesamte Leben umzukrempeln. So glaubt es sich gut – so läuft es seit fast 2000 Jahren. Glaube als Vergewisserung des eigenen Denkens und Lebensstils.

Ich glaube jedoch, dass es nicht darum geht an Lehrsätze zu glauben, also “richtig” zu glauben, sondern darum in der Beziehung mit Jesus, im eigenen Leben die “Radikale Balance” der Freiheit Gottes zu finden. Nur so können wir die gesamte Bandbreite des Evangeliums abrufen. Ich glaube, Jesus hat „und“ gelebt, „und“ verkündigt und er wollte Menschen befreien.

Bei uns reden ganz viele “ausschließlich” über Erlösung – und meinen damit, dass sie am Ende des Lebens erlöst werden wollen, während sie Erlösung im eigenen Leben wenig erfahren – ich glaube, Jesus wollte befreien – jetzt. Diese Botschaft verstehen wir nur, wenn wir „und“ leben. Dies bedeutet zu versuchen, unsere persönliche Prägung, unser fest zementiertes Denken zu öffnen und keine Angst mehr zu haben vor dem Anderen. Dann können wir Liebe leben, weil wir nicht mehr unterscheiden müssen, wem ich Liebe entgegne und wer es wert ist, liebevoll behandelt zu werden.

Aber der andere – der einfache –Weg ist es, den zu viele verkündigen und gehen, weil die Angst da ist, Menschen zu überfordern. Wir haben immer Angst zu überfordern.

Wie wäre wohl 2000 Jahre Kirchengeschichte gelaufen, wenn von Beginn an ehrlich mit den Menschen umgegangen worden wäre, man Andersdenkende nicht verfolgt und ausgegrenzt hätte? Die Umsetzung des „und“ lässt Menschen befreit leben.
 
Wir haben in unseren Gemeinden einen extrem hohen Prozentsatz nicht befreiter Menschen. Die Botschaft des Evangeliums ist nicht in ihr Leben eingedrungen. Sie leben Glauben auf eine Art und Weise, dass dieser ihnen gerade so von Tag zu Tag hilft. Sie schleppen ihre Probleme mit, wie ein Raucher, dem man jeden Tag empfiehlt aufzuhören. Er versteht dies, betet zum „Nichtrauchergott“ um aber dann weiter zu rauchen und festzustellen, „ich kann nicht anders“.

Dieses Beharrungsvermögen steckt in uns allen. Wir hören die Botschaft, wissen wie Befreiung aussehen könnte, befreit leben fällt aber schwer. Gemeinde und Kirche hilft uns dabei wenig, da wir auf der einen Seite kaum zur Veränderung herausgefordert werden und auf der anderen Seite eine fürchterliche Angst da ist, sich den Menschen unserer Zeit zu öffnen, weil man Angst hat, dass die Öffnung für neue Menschen, Formen und Stile, als Anpassung an die Gesellschaft interpretiert würde.

„Und“ wie auch Veränderung haben einen schlechten Ruf. Es assoziiert für viele Zeitgeist und Abfall vom Glauben.
 


Du bist Familienvater, arbeitest mit unterschiedlichen Gruppen in Gemeinden, engagierst Dich bei freshX … Wo fordert Dich persönlich heraus, was wir als UND formulierten?
 
Ja natürlich, manches zerreißt mich. In bin in Gruppen unterwegs, auch in Bibelstunden, Hauskreisen, mit Menschen die auf allen Flügeln zuhause sind. Dies zusammenzuhalten fordert mich. Es wäre viel einfacher eine konservative und eine liberale Gruppe zu bilden und ich erfülle in jeder Gruppe die Erwartungen. Das würde mir persönlich nicht schwerfallen, mit beider Theologie habe ich mich befasst. Aber die Spannung aufrecht zu erhalten, dass zerreißt mich schier.

Ähnliche Spannungen erlebe ich mit den Kindern; auch diese Glauben anders als ich. So wie sie andere Musik hören, nicht alle Sätze nachsprechen die mich prägten, so leben sie auch ihre Beziehung mit Gott anders.

Es wäre viel schöner, ich würde in einem Dorf 1630 leben (außer bei der medizinischen Versorgung), hätte ein gutes Verhältnis zum Pfarrer; meine Freunde und meine Kinder würden in die gleiche Kirche gehen, die gleichen Lieder singen. Alles im Glauben wäre klar.
 

„Stillstand bedeutet Rückschritt“ steht in unserer Charta. Jetzt höre ich, dass es in Deinem Herzen auch ein Bedürfnis nach Ruhe – Stillstand? – gibt. Im Kopf ist aber klar, ich will die Herausforderungen, die Veränderung mit sich bringt annehmen.
 
Ich bin aus meinem Dienst für eine Zeit ausgeschieden, weil ich als Pastor erlebte, dass das „und“, das Verbindende, das ganz Offene zu Menschen außerhalb von Gemeinden hin, nicht funktioniert. Gemeinde zwingt immer in ein gewisses Korsett. Gemeindeglieder wollen bedient werden. Selbst eine Gemeinde mit viel Freiheiten setzt Grenzen: wenn die Menschen entdecken, dass es an die Substanz geht; Freiheit bedeutet auch Verantwortung übernehmen und selbst gestalten, weil der Pastor sich Menschen zuwendet, die nicht bezahlen, nicht Mitglied sind und vielleicht auch nie Mitglied werden, dann wächst Unzufriedenheit.

Ich versuche sowohl-als-auch zu leben, indem ich mit Menschen unterwegs bin, die ihren Glauben im Moment kaum formulieren können. Sie sagen „ich suche Gott“. Im Gespräch spürt man, dass man miteinander viele Ähnlichkeiten hat. Auch in der Gemeinde findet man viele Menschen, die Gott suchen, nur dass die Menschen in der Gemeinde oftmals seit 30/40 Jahren Lehrsätze hören und von unseren Bildern und Predigten geprägt sind. Sie haben aufgehört zu fragen und nach Veränderung zu suchen.
Jetzt bin ich dabei, Gemeinde aufzubauen und neue Strukturen zu finden. Das ist herausfordernd, weil Menschen es gewohnt sind, dass Strukturen feststehen, die ihnen Sicherheit geben.
 

Gibt es eine Frage, die Du Dir selbst stellen würdest, um uns noch etwas zu sagen?
 
Ich formuliere derzeit mein Bild von Gemeinde. Da habe ich keine ganz klare Antwort, wohin der Weg führen wird.

Grundsätzlich habe ich ein sehr offenes Bild, ohne viel Organisation. Mir begegnet die Angst, dass Menschen dann nicht verbindlich sind. Ich glaube, dass Menschen, dort wo sie bewegt sind, verbindlich sind, auch ohne große Kirchenorganisation, ohne Mitgliedschaft und ohne Lehrsätze, in denen alles auf Richtigkeit geprüft ist.

Wenn ich mit Menschen ins Gespräch komme, die schon viele Jahre Gemeinde erleben, dann haben sie auf viele theologische Fragen (Glaubensbekenntnis, Vater unser, Trinität, Eschatologie, Christologie, Präexistenz Jesu, Schöpfung) ganz klare Meinungen, die sich aber voneinander unterscheiden und eine große Vielfalt abbilden. Jeder weiß was er glaubt und was nicht, jeder hat eine eigene Ansicht, auch wenn er dem selben Pastor zuhört und zu selben Gemeinde gehört. Kommen nun Menschen von außen und äußern Fragen, dann lassen wir denen viel weniger Freiheit sich eine Meinung zu bilden. Wir geben den Menschen, die zur Gemeinde gehören viel mehr Freiheit, als interessierten von Außen. Das empfinde ich als völlig paradox.

Meine Hoffnung von Gemeinde und Christenheit wäre, dass viel mehr Offenheit entsteht und wir den Menschen die Chance geben, Gott kennenzulernen.

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[1] Mit UND beschreiben wir unsere Charta (www.das-UND-Prinzip.de), hier ist aber „und“ im Gegensatz von entweder-oder, also eher im Sinne von sowohl-als-auch gemeint.



 
 
 
    
 
 


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